SIEGFRIED in DIE NIBELUNGEN von Moritz Rinke, Schlosstheater Celle 2010 • Ronald Schober
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SIEGFRIED in DIE NIBELUNGEN von Moritz Rinke, Schlosstheater Celle 2010

Spielzeiteröffnung mit Bravour geglückt

 

 

Dies ist ein besonderer Moment, sagt Schlosstheater-Intendantin Bettina Wilts in ihrer Begrüßung zur Premiere von Moritz Rinkes Stück „Die Nibelungen“. Angefangen bei den freundlichen Einweisern auf dem großen Parkplatz vor der Residenzhalle, über die bequeme Bestuhlung beiderseits des Laufstegs, den der Celler Künstler Frank Schult mit viel Gefühl für Inszenierungsnotwendigkeiten und Theaterbelange mit Turm und Treppe für dieses Stück geschaffen hat, bis hin zur guten Sicht auf das Gesamtgeschehen – das Celler Schlosstheater hat die Spielzeiteröffnung mit Bravour geschafft. Als einziger Wermutstropfen bleibt vielleicht die schlechte Akustik in den hinteren Reihen.


„Die in Celle trauen sich was“, sagt begeistert in der Pause eine junge Zuschauerin und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Eine derartig aufwändige Produktion mit den relativ bescheidenen Mitteln des Schlosstheaters auf die Beine zu stellen, bedarf nicht nur der Zusammenarbeit vieler fleißiger Hände, sondern auch der vereinten Kraft eines Ensembles, das geschlossen und einmütig „mitzieht“.

Regisseur Kalle Kubik ist es offensichtlich gelungen, seine Schauspieler nicht nur in den brillanten Fecht- und Degenszenen (Einstudierung Axel Hambach)  zu lust- und aktionsbetontem Tun zu animierener schafft es auch, jedem von ihnen ein unverwechselbares Profil zu geben, das individuelle Stärken betont, Humor nicht überzieht und Dialoge mit feiner Ironie und jenem Maß an Spannung versieht, die dem von deutschtümelndem Kult befreiten Rinke-Text entspricht und ohne pathetische Last den Zuschauer auch nach knapp drei Stunden nicht ermüdet. Aus der mytischen Heldensage ist ein modernes Stück geworden, das rundum packt und in Atem hält.

Als selbstbewusste und verwöhnte Kriemhild, der kein Mann recht ist, hat Sara Wortmann zunächst das Edle und das Rührende für sich. Ihre seelische Veränderung, die in tiefe Trauer, Seelennot und schließlich unter Ausnutzung von König Etzel (Thomas Henninger von Wallersbrunn) in pure Rachsucht umschlägt, geht unter die Haut. Mit ihrem Bruder Giselher will sie die Welt verändern. Lajos Wenzel gibt ihn als idealistischen Heißsporn, dem Gernot (ohne Übertreibung einfältig und bieder: Daniel Brockhaus) kaum etwas entgegenzusetzen hat.

Da ist Siegfried in der Darstellung von Ronald Schober von ganz anderer Natur. Zu Anfang der unbezwingbare Held mit Macho-Allüren, die seine Unsicherheit Frauen gegenüber verschleiern sollen, sehnt er sich später nur noch danach, in Xanten Hirsche zu jagen.

Das allerdings verhindert mit List und Tücke und Mord Hagen, ein Mann, dem man vertraut. Tim Bierbaum gibt ihm sowohl verschlagene als auch sympathische Züge. Peter-Andreas Landerl dagegen spielt König Gunther glaubhaft unentschlossen. Er trinkt und raucht und überhaupt – er ist ein Weichei. Der unbeugsamen Brünhild (überzeugend Gabriela Lindlova), die als Domina auf metallischem Pferd aus dem isländischen Nebel kommt, ist er in keiner Weise gewachsen. Zurecht lässt sie ihn am Haken baumeln.

In weiteren Sprechrollen sieht man überzeugend Christina Rohde (Mutter), Jürgen Kaczmarek (Rüdiger von Bechelaren), Farès-Brahim Bouattoura (Bote) und alternierend die Kinder Jan-Patrick Biedermann und Anton Röhrs. Als Höflinge agieren Gosta Liptow, Jan Christoph Kick und Jannis Zoidis. Kein Zweifel, im Schlosstheater hat man ein gewaltiges Gewicht gestemmt, aber dran verhoben hat man sich nicht. Ganz im Gegenteil, das war aller Ehren wert. Sehr viel Beifall am Schluss.

Cellesche Zeitung vom 24. September 2010, von Hartmut Jakubowsky

 

Der Mythos auf dem Boulevard

 

Sie will so gern etwas Neues schaffen, Menschen statt Eisensäulen, diese Träumerin Kriemhild.
Aber sie sitzt ja im tiefsten Mittelalter, abhängig von ihren Brüdern Gunther, Gernot und Giselher, die in spätrömischer Dekadenz ihrem Ende zutreiben.
Moritz Rinke hat aus dem Nibelungenlied eine postmoderne Plauderei gemacht, Mythos als gehobenen Boulevard.

In der Residenzhalle, die dem Celler Schlosstheater während der Restaurierung als Spielstätte dient, entwickelt sie Kalle Kubik weiter zur Geschichtsrevue in schrillen Kostümen. Frank Schult hat dafür einen Laufsteg durch die Halle gezogen, der Palasttreppe und Triumphbogen verbindet, Schicksalsrad und Schaukel. Ein Fließband der Geschichte, auf dem die Helden und Geschlechter dahinströmen. Dazu Nixen zum Weltanfang und Walküren zum Untergang.

Denn aus Kriemhilds Träumen wird nichts, sie selbst, die Idealistin, wendet sich nach der Ermordung ihres Mannes Siegfried der Rache zu. Sara Wortmann schafft glaubwürdig den Wandel von der jugendlichen Begeisterung zur fanatischen Verhärtung. Peter-Andreas Landerl gefällt in verwegen-lasziver Lässigkeit als Gunther, Daniel Brockhaus als römisch beflissener Gernot, Lajos Wenzel als noch ganz von Gefühlen gerüttelter Giselher.

Ronald Schober zeigt seinen Siegfried eindrucksvoll als Kraftpaket, dem er mit stiller Konzentration auch Tiefe gibt, als er von den Bildern in seinem Kopf spricht.

Und selbst der dämonisch aus dem Eisauge funkelnde Hagen des vorzüglichen Tim Bierbaum kennt Rührung, wenn er und die Burgunden treu zusammenstehen im Hunnenkessel. Nur Brünhild (Gabriela Lindlova) bleibt zaubrisch schimmernde Eisfrau auf dem Drahtross.

Das Schlachten der Burgunden zieht sich lange hin, aber schockt nicht mehr. Rinkes Boulevard ist nichts fürs antikische Grauen, glänzt aber bei der Zeichnung des menschlichen Beziehungsgeflecht. Die Celler Inszenierung bedient das phantasievoll, pointiert und spielfreudig.

Braunschweiger Zeitung, 12.10.2010 von Andreas Berger

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