Dünkel und Selbstzucht statt Gefühl
„Die Buddenbrooks“ nach Thomas Mann im Schlosstheater Celle
Drei Geschwister, drei Wege in den Untergang. Kalle Kubik hat am Schlosstheater Celle Thomas Manns „Buddenbrooks“ als psychologisches Kammerspiel in leerer Halle inszeniert. Hier sind nicht wandelnde Fassaden ausgestellt, sondern Menschen, die in einer zusammenstürzenden (Wirtschafts-)Welt ihren Halt in verschiedenen Rollen suchen.
Zuerst sind die drei sich noch ganz nah:
Unbeschwert lästern sie am Familientisch, belächeln den Emporkömmling Grünlich, der in Gestalt Ronald Schobers wie ein Nestroyscher Stutzer auf die Bühne springt, revuehafte Pose dies wie die frömmelnde Geschäftstüchtigkeit. Sein Hüsteln geht einmal um den Tisch, noch hat man Humor.
Doch die neue Zeit ist nun im Haus. Toni hat für ihre geschäftlich erwünschte Heirat ihre Sommerliebe zu Morten (Marcel Schaelchi) aufgegeben. Aber Grünlich macht Bankrott. Trotzdem muss sie weiterhin glauben an den höheren Wert der Familieninteressen, um nicht zu zerbrechen.
Sie versucht die zweite Ehe und zwingt sich mehr und mehr in eine strenge Form aus Dünkel und Selbstzucht, die ihr zur zweiten Natur wird. Sara Wortmann spielt mit großer Intensität den Wandel vom schnippischen Backfisch zur herben Geschäftsfrau. Vorzüglich!.
Auch Thomas zwingt sich in seine Rolle als Familienoberhaupt, doch hat er Bewusstsein davon. Tim Bierbaum wirkt eher pikiert als souverän, wenn er den Chef herauskehren muss. Seine Grundkonstellation ist weich und lässlich wie die seines bohemehaften Bruders Christian.
Wunderbar trifft er den traurig-natürlichen Ton im privaten Zwiegespräch mit Toni. Grandios ist sein Showdown mit Christian choreographiert, wenn er endlich den körperlichen Kontakt wagt, Christian in seinen Armen weinend fast erdrückt und niederringt. Thomas wird an diesem Widerstreit von Gefühl und Rolle zerbrechen.
Dagegen nimmt sich Christian die Lizenz zur Schwäche, zu einem dem Körper abgerungenen Lebensrausch. Lajos Wenzel bringt dabei mit Couplet und Luftballons gekonnt eine grelle Farbe ins kühle Haus, doch auch er geht an seiner Rolle zugrunde.
So lebt Kubiks Regie auch vom klug rhythmisierten Stimmungswandel. Und endet schon mit Hannos missglücktem Gedicht zur 100. Jubelfeier: Unhörbar stammelnd mit hängenden Schultern zeigt dieser jüngste Spross der Buddenbrooks: Die neue Generation hat keine Haltung mehr, wird keine Rolle finden. Das Spiel ist aus.
Braunschweiger Zeitung vom 2.10.2009 von Andreas Berger
Fulminanter Saisonstart am Schlosstheater mit den „Buddenbrooks“
Thomas Mann griffig und spannend: Zerbrechliche Glieder einer Kette – Symbolisches Konstrukt mit Köpfchen
(…) Kalle Kubiks Inszenierung sorgte für einen fulminanten Saisonauftakt. Das Premierenpublikum am Freitag im Schlosstheater klatschte die Darsteller nach zweieinhalb Stunden Spielzeit wieder und wieder auf die Hauptbühne. Nicht nur Dank John von Düffels griffiger Dramatisierung. Die Bühnenfassung dampft das epische Kontinuum aus vielen hundert Seiten gehörig ein und rückt die Figurengestaltung und Manns ironische Erzählweise in den Vordergrund.
Kubik führt die Reduktion konsequent fort und setzt auf Symbolik. Der Regisseur lässt sein Team auf einem schrägen, verzweigten System aus Stegen (Bühne: Christina Wachendorff) agieren, setzt sie in einem faszinierenden Stellungsspiel in Szene und entwirrt auf diese Weise das Geflecht aus Beziehungen und Hierarchien. Nicht nur der Wert des Einzelnen für die Familie/Firma wird berechnet. Die Familienaufstellungen decken die die krankmachenden Verstrickungen auf. Etwa die des Herrn des Hauses, Konsul Buddenbrook (Hartmut Fischer) zu Tony. Das Töchterchen, solide gespielt von Sara Wortmann, mausert sich rein äußerlich zur Tochter. Im Inneren tut sich wenig. Ihre emotionale Abhängigkeit überdauert den Tod des Vaters.
Als Sklaven ihrer väterlichen Bestimmung demontieren sich auch Tonys Brüder. Die verbalen Zweikämpfe des nach Aufmerksamkeit heischenden Hypochonders und Familienclowns Christian (Lajos Wenzel) und des patriachal-autoritär orientierten Thomas (Tim Bierbaum) gehören zu den Höhepunkten des Stücks. Beide durchdringen ihre Rolle und liefern eindrucksvolle Kämpfe – gegeneinander und vor allem gegen sich selbst, inklusive Tränen und Gebrüll bis hin zum Zusammenbruch.
Bei aller Tragik bleibt die Komik nicht auf der Strecke. Ronald Schober poltert als schleimiger Mitgiftjäger Bendix Grünlich stets mit einer verkappten Ta-ta-hier-bin-ich-Arabesque ins Geschehen.
Thomas Henniger von Wallersbrunn mimt den plumpen Urbayern Permaneder als absoluten Fremdkörper in der zugeknöpften Hanseatenfamilie.
Punktgenau eingesetzte Requisiten und wunderbare musikalisch begleitete Übergänge (am Klavier: Ulrich Jokiel) verdichten das Stück und lassen den Zuschauer nicht los. Auch nicht wenn der Vorhang längst gefallen ist.
Cellesche Zeitung vom 14.09.2009 von Silja Weißer
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