Ein Kessel Lichtes
Die Lesung „Ray of Light“ präsentierte am Samstagabend Licht-Texte zum Lichtparcours.
Braunschweiger Zeitung vom 9. August 2016 von Andreas Eberhard
Nach einem verregneten Samstag zeigt sich der Abend dann doch freundlich. Fast wolkenlos der Himmel, von dem sich die Sonne zurückzieht und hinterm Herzog-Anton-Ulrich-Museum versinkt. Derweil beginnen die verchromten Leuchtkörper-Balken von Kai Schiemenz‘ „Bastion Beauté“, Teil des Lichtparcours, vielfarbig zu leuchten. Hier, auf dem ehemaligen Ulrichsbollwerk, einem Überrest der barocken Stadtbefestigung Braunschweigs, trifft man sich zur szenischen Lesung „Ray of Light“, veranstaltet vom Literaturzentrum Raabe-Haus.
Mehrere Dutzend Menschen sind gekommen, späte Spaziergänger gesellen sich hinzu, um den Schauspielern Kathrin Reinhardt, Jürgen Beck-Rebholz und Ronald Schober sowie der Stimmbildnerin Dorothee Bärmann zu lauschen. Die Vier tragen Lyrisches, Romanpassagen, Lieder, Lexikonartikel und Werbeannoncen vor. Der gemeinsame Nenner der Collage: Das Thema Licht. Ein Kessel Lichtes sozusagen.
Wie bei solchen Sammelsurien üblich, ist nicht alles Gebotene gleichermaßen originell. Hier ist es der Einstieg, der etwas abfällt, eine vierstimmige Kaskade zusammengesetzter Worte: „Lichtallergie, Lichtbogen, Lichtbrechung, Lichtorgel, Lichtgestalt“. Aber sie erfüllt ihren Zweck und weckt die Aufmerksamkeit der Zuschauer.
Mit gutem Gespür für Tempo und Dosierung geht es durch die Texte: eine kleine Einführung in die Vermessung des Lichts mit Lux und Lumen ist darunter. Der Schildbürgerstreich vom verzweifelten Versuch, Licht in Säcke abzufüllen, lässt schmunzeln. Und Kathrin Reinhardt lässt Mascha Kalékos erleichtert aufatmendes Gedicht „Sonne“ einem Lichtstrahl gleich im Braunschweiger Dämmerlicht erstrahlen.
An der Gitarre, immer souverän, mal allein singend, mal zusammen mit den anderen, taktet Dorothee Bärmann die Lese-Collage mit musikalischen Akzenten. Leider ist die Auswahl der Stücke arg gefühlig. Der Refrain der Siebziger-Jahre-Schnulze „You light up my life“ kommt immer wieder zum Einsatz. Als Paradebeispiel für den Einsatz kitschiger Lichtmetaphern hätte dieser Pop-Hit einen Schuss Ironie vertragen können. Bärmanns Interpretation der Deutschsoulnummer „Du bist das Licht“ immerhin zwinkert mit dem Auge. Dem altmodisch schmalzigen Harmoniegesang ihrer Mitstreiter sei Dank.
Regelrecht gebannt wird die Aufmerksamkeit, als Beck-Rebholz die Geschichte „Das Tier in der Nacht“ von Uri Orlev vorträgt. Erinnerungen an die Angst als Kind im Dunkeln werden wachgerufen. Das klappt eindrucksvoll, weil der Schauspieler sich in den Text des israelischen Kinderbuchautors einfühlt, aber jeden Versuch unterlässt, krampfhaft kindlich oder kindgerecht zu klingen.
Die effektvolle Beleuchtung tut das ihre. Je dunkler es wird, umso dramatischer illuminieren die Displays der Tablets, von denen die vier schwarz Gekleideten die Texte ablesen, die Gesichter. Und in der Mitte Schiemenz‘ Lichtskulptur: Kriecht Orlevs fantastische Kreatur gleich unter den eher schummrig als hell leuchtenden Balken hervor?
„Schönes Licht ist eine Sache der Planung“, erklärt Ronald Schober da im launebärigen Verkäuferton. Adjektive und Alliterationen genüsslich auskostend schwärmt er von „weichem Wohlfühllicht“ und warnt eindringlich vor hässlichen Verlängerungskabeln. Im Chor mit Reinhardt und Beck-Rebholz beschwört er das grienende Publikum penetrant mit unbedingt zu beherzigenden Lampen-Ratschlägen, die ins Credo münden: „Ein Mix aus drei verschiedenen Quellen ist die ideale Beleuchtung!“ Köstlich absurd. Was wie eine geschwätzige Werbeanzeige klingt, entstammt übrigens – die Internetrecherche bringt es ans Licht – einem Artikel der Zeitschrift „Schöner Wohnen“.
Nach einer knappen Stunde Lesung und einem herzlichen Applaus zerstreuen sich die Zuhörer in die Nacht. Nicht erleuchtet, aber heiter und beschwingt.
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