Grausam – einfach so
„Shockheaded Peter“ bringt eine makaber-schrille Erwachsenenversion des „Struwwelpeter“ auf die Bühne
Am Ende waren sieben Kreuze, ein Kranz, ein Grabstein und eine Urne am Rand der Bühne aufgebaut. Zehn Tote zu verzeichnen und dennoch ein vor Vergnügen johlendes Publikum – wie geht das wohl zusammen? Ganz einfach: Es war das rabenschwarze Grusical „Shockheaded Peter“, das am E.T.A.-Hoffmann-Theater in Bamberg Premiere feierte – eine makaber-schrille „Erwachsenenversion“ von Heinrich Hoffmanns Kinderbuchklassiker „Der Struwwelpeter“. Verfasst von zwei Meistern des Schwarzen Humors, den Engländern Julian Crouch und Phelim McDermott.
Der verstruwwelte Peter, der wütende Friedrich, der verträumte Hans, der Suppen verweigernde Kasper, der zappelnde Philipp, die zündelnde Pauline, der Daumen lutschende Konrad – sie alle kommen auch in dieser Version vor, und sie alle nehmen ein tragisches Ende. Doch vorher hauen sie kräftig auf den Putz:
Zur fetzigen Musik von Bettina Ostermeier, Volker Giesek, Joachim Leyh und Michael Schmidt – eine Mischung aus Punkrock und Kirmesmusik, die an einen Kusturica-Film erinnert – toben sich Nina Arens, Patrick Schmitz, Christina Hecke, Ronald Schober und Hedda Geus richtig aus. Sie haben sichtlich Spaß an ihren wechselnden Rollen, wenn sie im Gitterbettchen über die Bühne hopsen, mit der Tischdecke den elterlichen Essenstisch abräumen.
Ein Spaß, der sich aufs Publikum überträgt, das gerne Mitschnippt und wippt. Voller Inbrunst wälzen sich die Darsteller in doppelbödiger Anzüglichkeit, wenn das Wort Tüte eine ganz andere Bedeutung bekommt und zu Konrads beiden Daumen noch ein weiterer „Finger“ – weiter unten – abgeschnitten wird. Die Inszenierung (Regie: Heidemarie Gohde) bewegt sich oft am Rande der Geschmacklosigkeit, bekommt aber immer wieder die Kurve.
Dennoch ist das Stück nur vordergründig komisch, unter der Oberfläche gärt es: „Manchmal müssen wir grausam sein, um gut sein zu können. Manchmal müssen wir grausam sein, um… wissen Sie, einfach so, zur Entspannung.“ Es sind Sätze wie dieser, die schwuppdiwupp das Lachen im Halse stecken und Bilder von all den misshandelten Kindern entstehen lassen.
„Was wird aus dem Kind, dem es an Zuneigung gebricht?“, wispern die Darsteller immer wieder. Lassen diesen Satz unheilvoll im Raum stehen. Es wird womöglich verhaltensauffällig – so wie Peter, Friedrich und Co. – und die vielen Namenlosen, die statt Liebe nur Gewalt erfahren, selbst zu Gewalttätern werden: So wie die drei Halbstarken, die mit Baseballschlägern auf eine ältere Frau losgehen.
Konsequenterweise hat die Regisseurin das Stück in eine Art Irrenhaus verlegt, eine geschickte Beleuchtung (Volker Nitschke) macht aus dem Gitternetzim Hintergrund eine sterile Kachelwand. Die bunte Puppenherrlichkeit wird immer mehr zu einer Ansammlung albtraumhaft-grotesker Fratzen (Ausstattung Uwe Oelkers). Kälte hat sich in die Kindheit geschlichen. „Weine nicht, es ist vergebens, jede Träne dieses Lebens fließet in ein Kellerloch – Deine Keile kriegste doch!“
Dass nach mehrmaligem Schlucken schließlich die stecken gebliebenen Lacher dennoch herauskommen, liegt vor allem daran, dass bei aller Ernsthaftigkeit Crouch und McDermott ihre Gesellschaftskritik so schrill und leichtfüßig verpacken. Ein gelungener Theaterabend – trotz und wegen der Kreuze, Kränze, Grabsteine und Urnen am Rand der Bühne.
Nordbayerischer Kurier vom 6. Dezember 2006 von Susanne Schmalz
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