Aus dem Swing-Lokal in die SA
Die szenische Lesung „Eberhard“ erzählt von einem Braunschweiger Nazi-Mitläufer.
Am 12. Mai 1965 nahmen Israel und Deutschland diplomatische Beziehungen auf. Am 12. Mai 2015 spielte der FC Bayern München um den Einzug ins Champions-League-Finale – jener Verein, der nach dem Zweiten Weltkrieg von Kurt Landauer wieder aufgebaut worden war, einem der ersten deutschen Juden, die ins Land der Täter zurückzukehrten. Zeitgleich zum Bayern-Kick zeigte im Roten Saal hinter der Braunschweiger Schlossfassade das Theater Zeitraum, wie vor 80, 90 Jahren aus jungen Menschen mit Idealen banale Mittäter werden konnten.
„Eberhard“ erzählt die Geschichte des Eberhard Gebensleben vornehmlich aus dessen eigenen Briefen. Er kommt 1910 als Sohn des Braunschweiger Stadtbaurats Karl Gebensleben zur Welt. Sein Abitur 1928 ist das beste der Stadt seit 50 Jahren. Eberhard entschließt sich, in Berlin Jura zu studieren. Hier beginnen seine Tagebücher.
Auf der spärlich eingerichteten Bühne liest der Schauspieler Ronald Schober daraus. Seitwärts hat sich Kathrin Reinhardt an einem Tisch postiert. Sie spinnt die Geschichte weiter, liest aus Briefen und Auszeichnungen etwa von Eberhard Gebenslebens Mutter und Großmutter. Aus dem offenen Studenten, der die Swing-Lokale der Großstadt besucht und der mit modischen Anglizismen wie „Weekend“ für „Wochenende“ seine Weltoffenheit unterstreicht, wird um die Jahrzehntwende ein Sympathisant der NSDAP.
Er tritt 1932 der SA bei und wird 1939 eingezogen. Als er die Klavierlehrerin Herta Deuling kennenlernt, gibt es einen Haken an der Sache: Ihre Großmutter ist jüdisch. Die Familie rät dem jungen Mann, dem „Blut“ seiner Vorfahren „keine Schande“ zu bereiten.
Regisseur Gilbert Holzgang arbeitet mit konventionellen, aber präzise eingesetzten Theatermitteln die Erwartungshaltung heraus, die nach dem Ende der Weimarer Republik den Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung beschleunigt hat: Das Träumen von neuer Stärke in nationalen Dimensionen wird selbst zu Kriegszeiten kaum erschüttert.
Eberhard Gebensleben zweifelt zwar 1942 in einem Brief an den militärischen Maßnahmen und ist für kurze Zeit des „offensiven Schießens“ überdrüssig. Doch Anfang 1943 ist ihm selbst die „Totale Mobilmachung“ noch ungenügend. Gebensleben fragt sich, warum angesichts der aussichtslosen Lage an den Fronten kulturelle Veranstaltungen wie Theaterstücke überhaupt noch inszeniert werden sollten.
Ein weiteres Jahr später beschleunigt sich nicht nur der Krieg und mit ihm der Untergang deutscher Allmachtsfantasien. Auch die Heirat mit Herta Euling wird von der Reichskanzlei abgelehnt. Im September fällt Gebensleben in Belgien, wo er mit 40000 deutschen Soldaten begraben wird.
Wieder am 27. Mai und 4. Juni. Karten unter (0531) 79 83 98.
Braunschweiger Zeitung vom 16.5.2015 von Christoph Braun
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